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Fleischer
Während die Hauptaufgaben der Innung über die Jahrhunderte die gleichen geblieben sind, haben
sich die Mitglieder­zahlen, die Höhe der Mitgliedsbeiträge sowie bestimmte Vorschriften der jeweiligen
Zeit angepasst. Den Innungs­mitgliedern sollten gleiche Arbeits- und Absatzmöglichkeiten geschaffen
werden, um Konkurrenzkämpfe möglichst ­auszuschalten. Eine entscheidende Rolle spielte die Innung
auch bei der Vermittlung von Erfahrungen an jüngere Mit­glieder und bei der Ausbildung.
Die jährlichen Mitgliedsbeiträge beliefen sich auf:
1556 – Quadembergeld (Quartalsgeld) 1 Groschen
1863 – Jahresbeitrag 5 Neugroschen
1886 – Jahresbeitrag 15 Mark
Alle Innungsmitglieder führten den Meistertitel und hatten gleiche Rechte und Pflichten. Unterstützung
gab die Innung in Not geratenen Mitgliedern. So konnten Witwen, die nach dem Tod des Handwerks-
meisters das Gewerbe weiterführten, die Vorteile der Innungsmitgliedschaft weiter nutzen und erhielten
beispielsweise Hilfe bei der Lehrlingsausbildung.
Die Machtübernahme Hitlers 1933 bewirkte noch keine einschneidende Veränderung im Innungsle-
ben und bei der Versorgung der Bevölkerung. Der Kriegsbeginn am 01.09.1939 sollte diese Situation
drastisch verändern. Da fast alle Gesellen zum aktiven Kriegsdienst eingezogen waren, standen die
Fleischermeister oft lediglich mit ihren Lehrlingen im Geschäft. Um eine gleichmäßige Versorgung zu
gewährleisten, wurden mit Kriegsbeginn Lebensmittelkarten eingeführt. Sie wurden erst am Ende der
50er Jahre wieder abgeschafft.
Im Sozialismus gab es keine Innungen im rechtlichen Sinne mehr. Die Fleischer waren in einer Be-
rufsgruppe organisiert. Die Berufsgruppe wurde vom Vorstand und einem Obermeister analog einer
Innung geleitet. Auch die Gesellenprüfungen wurden von der Prüfungskommission der Berufsgruppe
abgenommen.
Infolge des viel zu geringen und qualitätsmäßig schlechten Obst- und Gemüseangebotes in der DDR
waren Fleisch- und Wurstwaren Hauptnahrungsmittel. Dementsprechend war ihr Verbrauch bei sta-
bilen (gestützten) Preisen sehr hoch. Allerdings konnten private Fleischerhandwerksbetriebe davon
kaum profitieren. Sie wurden seitens der Behörden und Funktionäre als Überbleibsel der Ausbeuter­
gesellschaft betrachtet und in ihrer Entwicklung ständig behindert. Wie andere Handwerksbetriebe in
der DDR, hatten auch die Fleischer Probleme mit veralteten Verarbeitungsmaschinen und mit Engpäs-
sen und Eintönigkeit im Angebot zu kämpfen. „Delikatessen“ wie eine Schweins- oder Rinderzunge
für eine Feier waren nur unter großen Anstrengungen zu bekommen. Die Erzeugnisvielfalt war recht
eingeschränkt, dafür war wegen der niedrigen Preise Massenproduktion angesagt.
Da es im Sozialismus an allem mangelte, wurde auch an den Gewürzen gespart. Pfeffer und Majoran,
zwei der wichtigsten Wurstgewürze, durften nur als Ersatz verwendet werden. Obwohl die DDR immer
wieder glaubhaft machen wollte, dass sie in Sachen Hygiene und Gesundheitsfürsorge eine der führen-
den Nationen der Welt sei, mussten z.B. bis 1980 die Schlachtteile von den Schlachtbetrieben liegend
und zum Teil in Planenfahrzeugen, also ohne Kühlfahrzeuge, transportiert werden. Ausnahmen gab es
nur für Exportbetriebe.