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Fortgesetzte Aufklärung der Landeshauptstadt Kiel zum tödlichen Messerangriff in einem Regionalzug

Die Zuwanderungsabteilung der Landeshauptstadt Kiel hat die eigenen Erkenntnisse und Hinweise, insbesondere zum Informationsaustausch zwischen den verschiedenen beteiligten Behörden, weiter ergänzt und setzt ihre Aufarbeitung fort.

Bislang (vgl. Pressemitteilung vom 26. Januar 2023) war bekannt, dass die Zuwanderungsabteilung Kiel am 4. Mai 2022 in einer E-Mail von der Inhaftierung des mutmaßlichen Täters erfahren und daraufhin um weitere Informationen gebeten hat. Insbesondere aufgrund von Hinweisen der Hamburger Behörden wurde der E-Mail-Verkehr zwischen den Hamburger Behörden und der Kieler Zuwanderungsabteilung noch einmal detailliert überprüft. Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass zwei E-Mails, wie von Senatsvertreter*innen der Freien und Hansestadt dargestellt, bei der Landeshauptstadt Kiel eingegangen sind. Hierbei handelt es sich um die Antwort der Polizei Hamburg vom 10. März 2022, die in dem persönlichen Postfach des zuständigen Mitarbeitenden aufgefunden wurde und die Antwort aus der JVA Billwerder vom 6. Mai 2022 auf die oben genannten Rückfragen. Die jetzt abgeschlossenen aufwendigen internen Recherchen haben darüber hinaus keine Hinweise auf weitere Informationsübermittlungen ergeben, insbesondere die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtmitteilungen (MiStra-Mitteilungen und Informationspflichten nach Aufenthaltsgesetz) sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht an die Zuwanderungsabteilung Kiel erfolgt beziehungsweise – hinsichtlich der Mitteilung über die Haftentlassung – verspätet erfolgt. Somit wurde die Kieler Zuwanderungsbehörde über die Haft des mutmaßlichen Täters informiert, allerdings nicht über den dafür gesetzlich vorgeschriebenen Weg.

Im Ergebnis machen es die bisherigen Erkenntnisse zum Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden und über die Einhaltung von Mitteilungspflichten erforderlich, sowohl die bisherige Praxis als auch die gesetzlichen Meldepflichten zu überdenken und Änderungen vorzunehmen, um einen sicheren und rechtzeitigen Informationsfluss jederzeit zu gewährleisten. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der stark beanspruchten Zuwanderungs- und Ausländerbehörden der Kommunen in ganz Deutschland dringend geboten.

Die Daten und Erkenntnisse der Landeshauptstadt Kiel zum Aufenthalt des mutmaßlichen Täters noch einmal im Überblick:

 

Aufenthalt in Euskirchen von 2015 bis 2020

Der gebürtige Palästinenser reiste eigenen Angaben zufolge am 24. Dezember 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 22. Januar 2015 hat er einen Asylantrag gestellt. Der Asylantrag wurde vom BAMF (Bonn) am 12. Juli 2016 abgelehnt, subsidiärer Schutz nach § 4 Abs.1 AsylG aber gewährt. Die zuständige Ausländerbehörde (ABH) war die       Kreisverwaltung Euskirchen (2015–2020). Bereits 2016 ist er dort rechtskräftig wegen Gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden, Darüber hinaus sind zwei Geldstrafen wegen Drogenverstößen und Diebstahls in Nordrhein-Westfalen aktenkundig. Soweit bekannt, ist keine dieser Taten von den dortigen Behörden an das BAMF gemeldet worden. Am 1. Dezember 2020 ist der Fortzug aus dem Kreis Euskirchen nach unbekannt aktenkundig.

 

Aufenthalt in Kiel von Juli 2021 bis März 2022

Am 2. Juli 2021 ist der gebürtige Palästinenser nach Kiel gezogen. Der wohnungslose Mann wurde zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in Unterkünften für geflüchtete Menschen untergebracht. Ein Sozialleistungsbezug für die Bestreitung des Lebensunterhalts wurde hergestellt, auch wurden die Meldeadresse im Melderegister eingetragen und die ausländerrechtliche Prüfung eingeleitet.

Zu dieser Prüfung gehörte eine bereits am 8. Juli 2021 eingeleitete Abfrage aus dem Bundeszentralregister. Diese ergab drei Entscheidungen zu Strafsachen, darunter die erwähnte rechtskräftige Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung aus dem Jahr 2016.

Nach § 80 Abs. 8 S. 3 AufenthaltG kann eine Person vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen werden, wenn die Person eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil sie wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Auf dieser Grundlage wurde am 22. Juli 2021 (Tag der ersten Vorsprache des Mannes in der Zuwanderungsabteilung Kiel) das BAMF mit der Bitte um Prüfung der Einleitung eines Widerruf- und Rücknahmeverfahrens befasst, da eine Prüfung durch die vorherige zuständige Ausländerbehörde in Nordrhein-Westfalen nicht eingeleitet wurde. Eine Bestätigung des Eingangs der Prüfanfrage erfolgte durch das BAMF mit Schreiben vom 28. Juli 2021. Die Zuwanderungsabteilung Kiel informierte mit Mail vom 22. Oktober 2021 das BAMF über den Umzug in die Gemeinschaftsunterkunft.

Die Mitteilung über die Einleitung der Prüfung erfolgte mit Schreiben des BAMF vom 19. November 2021, rund vier Monate nach der Prüfbitte der Zuwanderungsabteilung Kiel. Weitere Mitteilungen durch das BAMF an die Landeshauptstadt Kiel zum Stand des Verfahrens beziehungsweise über verschiedene erfolglose Zustellversuche bis Dezember 2021 (siehe Aussage im Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags am 1. Februar durch den Vertreter des BAMF) erfolgten nicht.

Aufgrund verschiedener Vorfälle erhielt der gebürtige Palästinenser am 29. November 2021 ein Hausverbot in der Gemeinschaftsunterkunft. Am 1. Dezember 2021 erschien er in der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Männer (ZBS) in Kiel und bat um eine Notunterkunft. Ihm wurde ein Platz in einer Container-Unterkunft angeboten. Dieses Angebot hat er nicht angenommen.

Am 14. Januar 2022 fand der letzte Kontakt zwischen dem gebürtigen Palästinenser und der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Männer in Kiel statt. An diesem Tag hat er dort seine Post abgeholt. Eine Abmeldung von Amts wegen erfolgte durch die ZBS zum 25. März 2022 aufgrund längerer Abwesenheit.

 

Aufenthalt in Hamburg seit Dezember 2021

Während seines Aufenthalts in Hamburg, vermutlich ab Dezember 2021 beging der Mann mehrere Straftaten, unter anderem stach er am 20. Januar 2022 vor einer Obdachloseneinrichtung in Hamburg einen anderen Mann nieder und wurde daraufhin am 21. Januar 2022 in Untersuchungshaft genommen. Nach Anklageerhebung wurde er zu einem Jahr und einer Woche Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Wegen des Einlegens von Rechtsmitteln wurde das Urteil nicht rechtskräftig, die Untersuchungshaft bestand fort. Am 19. Januar 2023 wurde er aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts Hamburg aus der Untersuchungshaft entlassen. Nach derzeitigem Stand der Recherchen und Auswertungen bestanden im Zusammenhang mit dieser Tat und der anschließenden Haft mehrere Mitteilungspflichten an die zuständige Ausländerbehörde gemäß § 87 Abs. 4 AufenthG und Nr. 42 MiStra, nämlich bezüglich

•           der Einleitung des Strafverfahrens

•           der Anordnung der Untersuchungshaft

•           der Erhebung der öffentlichen Anklage

•           der Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Lediglich die MiStra-Mitteilung des Landgerichts über die Haftentlassung ist in der Zuwanderungsabteilung Kiel aktenkundig geworden. Sie erfolgte am 2. Februar 2023, zwei Wochen nach der Haftentlassung und acht Tage nach der tödlichen Messerattacke im Regionalzug. 

Nach Aussage der Senatsvertreter*innen der Hamburger Behörden sollen zwei MiStra-Meldungen an die örtliche Hamburger Ausländerbehörde (Einleitung des Strafverfahrens und Entlassung) erfolgt sein. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist von dort weder eine Weiterleitung an die Zuwanderungsabtteilung Kiel noch an das BAMF erfolgt.

Während der Untersuchungshaft in Hamburg gab es mehrere Kontakte zwischen Hamburger Behörden und der Zuwanderungsabteilung Kiel. Am 1. März 2022 fragt das LKA Hamburg in Kiel nach dem Aufenthaltsstatus des Beschuldigten und informiert über aktuelle Straftaten – allerdings nicht über die Untersuchungshaft. Die Kontaktaufnahme der Hamburger Polizei in diesem Zusammenhang diente im Ursprung der Aufklärung im Rahmen der „Gemeinsamen Ermittlungs- und Rückführungsgruppe ausländischer Straftäter“ (GERAS). Am 9. März 2022 antwortete die zuständige Sachbearbeiterin der Zuwanderungsabteilung Kiel dem LKA und informiert gleichzeitig das BAMF über die Straftaten des Beschuldigten nach Angaben des LKA Hamburg. Zur Untersuchungshaft lagen zu diesem Zeitpunkt keine Informationen vor. Am 10. März 2022 sendete der Polizeibeamte eine neue E-Mail direkt in das persönliche Postfach der Sachbearbeiterin der Zuwanderungsabteilung in Kiel (nach aktuellen Stand aber nicht an das BAMF) und teilte unter anderem mit, dass der Tatverdächtige seit dem 20. Januar 2022 in Hamburg inhaftiert sei. Diese Nachricht war bislang nicht aktenkundig und wurde nun nach einer internen Recherche in der Zuwanderungsabteilung Kiel gefunden.

Am 4. Mai 2022 fragte – wie bereits in der Pressemitteilung vom 26. Januar 2023 berichtet – ein Ausländerberater der JVA Billwerder bei der Zuwanderungsabteilung Kiel wegen einer Verlängerung der Fiktionsbescheinigung an, die für eine geplante Suchtberatung benötigt wurde. In diesem Zusammenhang wurde auch erwähnt, dass sich der Tatverdächtige in U-Haft befindet. Am 6. Mai 2022 antwortete die Sachbearbeiterin aus Kiel und stellte Rückfragen unter anderem nach der Dauer der Haft und dem gewöhnlichen Aufenthalt des Tatverdächtigen. Die Hamburger Behörden hatten dazu angegeben, dass die JVA noch am gleichen Tag geantwortet habe. Diese E-Mail konnte mittlerweile wiederhergestellt werden.

Weitere den Tatverdächtigen betreffende Nachrichten, E-Mails, Eingänge und insbesondere die oben genannte verpflichteten MiStra-Mitteilungen wurden bei der jetzt abgeschlossenen internen Recherche nicht vorgefunden.

 

Kontakt in Kiel am 25. Januar 2023

Zwischen 10 und 11 Uhr suchte der Tatverdächtige die Zuwanderungsabteilung der Landeshauptstadt Kiel auf. Das Gespräch fand im Neuen Rathaus ohne Termin und ohne eine vorherige Ankündigung statt. Der mutmaßliche Täter wollte eine Verlängerung seiner Fiktionsbescheinigung. Das Gespräche führte er mit zwei Mitarbeiterinnen der Zuwanderungsabteilung. Beide erklärten ihm, dass zuerst wieder der gewöhnliche Aufenthalt in Kiel erklärt werden muss. Daher wurde der Mann auf die Zentrale Beratungsstelle für wohnungslose Männer (ZBS) verwiesen. Dort solle er sich anmelden und danach beim Einwohnermeldeamt vorstellig werden. Der Mann betonte mehrfach, dass er einen Schlafplatz in Hamburg habe. Ihm wurde mitgeteilt, dass er sich dann in Hamburg anmelden müsste. Beide Mitarbeiterinnen haben keine auffällige Reaktion des Mannes registriert.

Anschließend ist der Tatverdächtige nicht wie empfohlen zur ZBS gegangen, sondern zum Einwohnermeldeamt im Rathaus, Fleethörn 9, und traf dort gegen 11.15 Uhr ein. Dort teilte man ihm erneut mit, dass er für eine Fiktionsbescheinigung zunächst einen Wohnsitz benötigte. Er wurde auf die ihm bereits bekannte ZBS verwiesen, die sich nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt in derselben Straße befindet (Fleethörn 61a), um sich in Kiel anzumelden. Dort meldete er sich nicht. Der Mann wirkte wie zuvor bei der Zuwanderungsabteilung ruhig.

 

Ergänzend kann mitgeteilt werden: Am 6. Februar 2023 hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Itzehoe die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Kiel über den Erlass eines Haftbefehls für mutmaßlichen Täters gemäß Nr. 42 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (Mistra) informiert.

Beitragsverfasser: Kerstin Graupner, Pressereferat, Pressesprecherin
Weblink: http://www.kiel.de
Datum der Veröffentlichung: 15.02.2023

Schleswig-Holstein, Kiel, Kiel

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