Wohnen & Leben / Portrait

Lebendige Geschichte in Belgern-Schildau

Belgern-Schildau ist eine junge Stadt inmitten eines historischen Umlands, die am 1. Januar 2013 aus der Städtefusion der traditionsreichen Rolandstadt Belgern mit der Gneisenaustadt Schildau entstanden ist. Belgern-Schildau ist eine Stadt mit ehrgeizigen Ambitionen in den Sektoren Industrie und Landwirtschaft.

 

Schon seit jeher waren Belgern und die umliegenden Dörfer aufgrund der günstigen natürlichen Bedingungen ein bevorzugtes Siedlungsgebiet. Hinzu kam, dass sich hier die Hauptverkehrsstraße entlang der Elbe mit der von West nach Ost verlaufenden Handelsstraße kreuzte.

 

Früh besaß die Stadt Belgern das Marktrecht. In den strategischen Plänen der deutschen Kaiser kam dem befestigten Ort als vorgeschobenem Stützpunkt gegen die Slawen und als Verbindungsglied zwischen den Grenzmarken Meißen und Lausitz große Bedeutung zu. Geprägt wurde Belgern aber besonders vom bereits im Jahre 1258 errichteten Zisterzienser-Kloster. Zwar mussten die Bewohner der Stadt zeitweise Abgaben entrichten, doch die Mönche nahmen nicht nur, sie hatten auch etwas zu geben. So förderten sie entschieden den Weinanbau – im Jahre 1210 gab es bereits 72 Weingärten in und um Belgern – kultivierten Land, brachten verbessertes Ackergerät und edleres Obst, betrieben Fischfang, bauten Flachs an und lüfteten das Geheimnis des Bierbrauens, das bald zu einer Haupteinnahmequelle der Belgeraner Bürger werden sollte. Im Jahre 1628 gab es allein in der Stadt 34 Häuser, die das Braurecht besaßen. Neben dem Bierbrauen und dem bis 1911 gepflegten und weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannten Weinanbau brachten Schifffahrt und Fischerei der Bevölkerung Beschäftigung und Verdienst.

 

Dem frühen Wohlstand folgte der Niedergang. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Belgern 1632 von kaiserlichen und schwedischen Truppen fast vollkommen zerstört. Noch 14 Jahre später sollen nur noch sieben Ehepaare und drei Kinder hier gelebt haben. Nur sehr langsam erholte sich die Stadt von den Schrecken des Kriegs und der Pest, erreichte aber nicht mehr ihre alte Bedeutung. Ein entscheidender Grund war die fehlende Ansiedlung größerer Industrieunternehmen und Verwaltungseinrichtungen. Auch die Einrichtung der Postverbindung Berlin-Dresden über Belgern im Jahre 1734 änderte nichts an der ökonomischen Stagnation. So verpasste die Stadt den wirtschaftlichen Aufstieg des 18. und 19. Jahrhunderts. Erst im Jahre 1915 fuhr zum letzten Mal eine Postkutsche nach Torgau und zeitgleich der erste Zug nach Belgern, das bis ins 20. Jahrhundert eine landwirtschaftlich orientierte Kleinstadt blieb.

Schildau: Niedergang und Blütezeit


Auch Schildau ist von alters her ein Ackerbürgerstädtchen. Nach Errichtung der Kirche um das Jahr 1170, die zusammen mit ihrer Umgebung den vermutlich ältesten Stadtteil darstellt, entwickelte sich eine langgezogene Straßensiedlung. Später entstand im Ort ein unregelmäßiges Straßennetz mit dem geräumigen rechteckigen Markt als Zentrum, in dessen Mitte das alte Rathaus bis zum Brand von 1778 stand. Die Strassen waren breit und ungepflastert, größtenteils wurden Häuser aus Holz mit Lehmwänden errichtet.

In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurde auch Schildau fast vollständig niedergebrannt, darunter alle öffentlichen Gebäude, einschließlich der Kirche und dem Rathaus. Ab 1650 begann der Wiederaufbau. Das Töpfer-, Böttcher-, Schuster-, Schneider-, Schmiede- und Wagnerhandwerk entwickelte sich. Eine neue Blütezeit erlebte Schildau dann Anfang des 19. Jahrhunderts. Neben 90 Handwerksmeistern, darunter vor allem Leineweber und Töpfer, gab es neun Bierbrauer und außerdem 105 brauberechtigte Häuser und 20 Branntweinbrenner.

Doch der neuerliche Aufstieg der Stadt war nur von kurzer Dauer. Genau wie in Belgern kam die industrielle Revolution auch in Schildau nicht an. Die Lage der Stadt weitab von den großen Verkehrsadern und der Mangel an Rohstoffvorkommen verhinderten fast jeglichen Unternehmergeist. Schildau behielt seinen ländlichen Charakter, den es sich bis heute bewahren konnte.

Aus Schwäche wird Stärke


Es ist als erwache Belgern-Schildau aus einem jahrhundertelangen Schlaf – zwar fast vergessen von wirtschaftlicher und politischer Entwicklung, dafür aber auch unbelastet von vielen Fehlern der Vergangenheit, wie dem Raubbau an der Natur und extremen Umweltbelastungen. Die Stadt mit ihren Ortsteilen und rund 9000 Einwohnern hat dadurch heute etwas zu bieten, das viele Menschen wieder suchen: Ursprünglichkeit von Landschaft, Bebauung und Geschichte. So führt der Radwanderweg von Prag nach Hamburg an Belgern vorbei und wird von einer wachsenden Zahl von naturliebenden Urlaubern erkundet.

 

An lebendiger Geschichte mangelt es der jungen Stadt nicht. Zum einen sind in ihren Stadtteilen viele Dörfer weitgehend in ihrer vor Jahrhunderten entstandener Grundanlage erhalten geblieben. Darüber hinaus wurde in der Gneisenaustadt Schildau im Jahre 1760 August Wilhelm Antonius Neidhardt, der spätere Graf Neidhardt von Gneisenau, der preußische Generalfeldmarschall und Heeresreformer geboren. Als Stabschef Blüchers hatte er wesentlichen Anteil am Sieg gegen Napoleon bei Waterloo.

 

Berühmt ist Schildau aber auch für Menschen, deren Namen nicht einmal bekannt sind. Wir nennen sie daher die Schildbürger, schlaue Bewohner des historischen Schildaus, die sich dumm stellten, um nicht in fremde Dienste treten zu müssen. Ihre Streiche, aufgezeichnet vom 1543 in Sitzenroda  geborenen Schriftsteller Johann Friedrich von Schönberg, sind weltberühmt.

 

In Belgern ist besonders die fast sechs Meter hohe Rolandsstatue vor dem Rathaus sehenswert. Der Roland ist als Standbild eines Ritters mit bloßem Schwert und als Sinnbild der Stadtrechte besonders in nord- und ostdeutschen Städten weit verbreitet. Der Belgerner Roland wurde bereits 1610 errichtet und ist die einzig erhaltene Rolandstatue im Freistaat Sachsen.

 

Bildquelle: Wikipedia, Autor/Photograph: Radler59

Datum der Veröffentlichung: 18.03.2014

Sachsen, Nordsachsen, Limburg an der Lahn

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