Seite 7 - koeln_chronik_leseprobe

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Geschenk mit Schleife
hatte er mit der Niederrheinischen
Bucht sein Mündungsgebiet erreicht,
denn die Küste verlief damals auf der
Höhe von Aachen und Mönchen-
gladbach.
So ging das eine ganze Zeit lang –
rund 28 Millionen Jahre. Niemand
hätte damals gedacht, dass der Mittel-
gebirgs uss noch eine Karriere als
europäischer Strom, ja als Vater
Rhein, hinlegen würde. Dann kam
ihm die Erdkruste zu Hilfe. Die ist
nämlich von der Nordsee bis ins
westliche Mittelmeer von einem Riss
durchzogen, in dem sich seit rund
35 Millionen Jahren neuer Erdboden
breit macht. Diese Dehnung hat
allerdings zur Folge, dass zwischen
Basel und Frankfurt / Main das
Krustengestein knapp wurde und
damit der Boden absank. Und dieser
entstehende tiefe Oberrheingraben
verlockte vor 2,6 Millionen Jahren
die mächtige Uraare-Donau, die
zuvor mit der Rhone ein Flussbett
geteilt hatte, zu einer Liaison mit
demUrrhein. Bis der Rhein allerdings
seine heutige Schlagkra erreichen
sollte, vergingen nochmals rund zwei
Millionen Jahre. Vor rund 800 000
Jahren zeigte dann auch der wasser-
reiche Alpenrhein der Donau die
kalte Schulter. Statt mit ihr in langsa-
memTempo ewig weit nachOsten ins
SchwarzeMeer zu ießen, wandte er
sich nachWesten, strömte ins heutige
Hochrheintal und schloss sich dem
Rhein in Richtung Nordmeer an. So
gilt heute der Tomasee auf 2345Metern
über demMeer imSchweizer Kanton
Graubünden als Quelle des Rheins.
Je weiter sich das Rheintal senkte
– und das tut es bis heute – desto
größer wurde das Gefälle zu beiden
Flussufern. Mit der Zeit kamen der
Donau so auch zahlreiche andere
Zu üsse wie Main, Neckar und
Mosel abhanden, die der Rhein als
Gelegenheitsdieb seinem Einzugs-
gebiet einverleibte. Heute entwässert
er 185 300 Quadratkilometer Fläche
in acht Ländern. 630 Kubikmeter
Wasser rauschen dazu bei normalem
Pegelstand von 3,48 m jede Sekunde
an Köln vorbei. Beim historischen
Rheinhochwasser imWinter 1995
wurde mit 11 500 Kubikmetern
sogar fast das Doppelte gemessen.
Die Kra des Stroms erkannten
schon die ersten Bewunderer. Der
indogermanische Wortstamm
rei
heißt dann auch nichts anderes als
ießen
und stand Pate nicht nur für
den Rhein, sondern für zahlreiche
Grundvokabeln vom spanischen
Rio
bis zum englichen
River
.
O
hne den Rhein gäbe es kein Köln.
Ein wenig Pathos ist also ange-
bracht – ganz so wie es Madamme de
Staël im 19. Jahrhundert verbreitete.
Man könne, so schrieb die Baroness
1813, den Rhein geradezu für den
Schutzgeist Deutschlands halten.
„Seine Flut ist klar, reißend, majestä-
tisch wie das Leben eines Heroen aus
der Vorzeit“.
Tatsächlich nimmt der Rhein eine
bewundernswert lange Reise auf
sich, bevor er bei Stromkilometer
671 – gerechnet ab der Konstanzer
Rheinbrücke – in Godorf Kölner
Stadtgebiet erreicht. Und ein Held
der Vorzeit ist er auch. Einer, der
mit Ausdauer und Fleiß sowie als
Gelegenheitsdieb seine Spitzen-
stellung als mächtigster der Nordsee-
zu üsse errungen hat und bis heute
ausbaut. Seine Kinderstube liegt
vermutlich nur wenig südlich des
Kaiserstuhls beim heutigen Freiburg.
Während in der subtropischen
Nachbarscha Urpferdchen mit drei
Zehen, Mischwesen aus Bär und
Hund und Nashörner ohne Horn
noch mit der Evolution um ihre
kün ige Form verhandelten, wand
sich der Urrhein auf den Weg nach
Norden durch ein grünes Hügelland.
Nach 400 Kilometern Geschlängel
Rheinhochwasser – hier umWeihnachten 1993 – sind in
Köln keine Seltenheit. Doch erst seit Kurzem schützt sich
die Stadt mit Flutmauern wirksam dagegen.
Foto: ullstein bild – dpa
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Der Rhein