Die Informationsbroschüre Memminger Wegweiser

8 Kultur und Architektur pur Der Kreuzherrnsaal, die ehemalige Kirche St. Peter und Paul des Heilig-Geist- Ordens, ist eingebunden in einen Baukomplex, der über Jahrhunderte Klosternutzung und Spitalnutzung unter einem Dach vereinigte und der Stilelemente der Hochgotik und Spätgotik mit dem frühen und späten Barock kombiniert. Geschaffen als zweischiffige Hallenkirche fasziniert der Saal auch 200 Jahre nach seiner Profanierung mit einem ungewöhnlichen Raumerlebnis. Bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts war an selber Stelle ein Spital entstanden. Es unterstand dem römischen Krankenpflegeorden Santo Spirito in Sassia, der in Memmingen wegen seines Ordenssymboles Kreuzherrnorden genannt wurde. Das Kreuz mit zwei Querbalken an der Spitze des 1484 erbauten und 1617 erhöhten Kirchturms dokumentiert auf seine Weise den bis heute gebräuchlichen Namen. Das Wirken der Kreuzherren in der an das Kirchenschiff angrenzenden sogenannten Dürftigenstube, der heutigen Gastronomie, wurde zum Ausgangspunkt der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Krankenfürsorge in Memmingen. 1367 gab die Ordensgemeinschaft diese Aufgabe an die Reichsstadt ab, widmete sich aber weiterhin der Seelsorge. Die Kirche und die oberen Geschosse blieben in der Nutzung des Ordens. Das Untergeschoss beherbergte fortan das von der Reichsstadt betriebene Krankenspital. Ein Brand im Jahr 1477 schädigte vor allem den Kirchenbau und führte 14801484 zur Wiedererrichtung als gotische Hallenkirche unter Spitalmeister Andreas Aichelberger. Einige Charakteristika der Gotik sind trotz der späteren barocken Überformungen noch gut zu erkennen: Die schlanken Stützen, die Einteilung in quadratische, mit Kreuzrippen überwölbte Joche und die pyramidenförmigen Gewölbekonsolen, die sich an der Ost- und Westwand erhalten haben. Das auffälligste Merkmal des Raumes ist seine Zweischiffigkeit, dem eine Mitte zu fehlen scheint. Gründe für diese Besonderheit werden im Doppelpatrozinium „Peter und Paul“ oder in der Parallelnutzung als Kloster- und Spitalkirche vermutet. Heute ist es die barocke Ausstattung mit ihrer verschwenderischen Fülle von Fresken und Stuck, die den Raumeindruck prägt. Auftraggeber in den Jahren 1709-1711 war der Spitalmeister Sigismund Teufel. Die Dekorationen fertigte der renommierte Wessobrunner Stuckateur Matthias Stiller zusammen mit seinem Sohn Michael, die Deckengemälde stammen vom Memminger Maler Johann Friedrich Sichelbein (1648-1719). Ein Netz Der Kreuzherrnsaal aus vorwiegend vegetabilen Formen überzieht die Gesamtheit der gewölbten Flächen. Die Stuckaturen mit ihren Girlanden, Muscheln und Akanthusblättern gelten als eine der schönsten in ganz Süddeutschland. Die in jedes Jochfeld eingefügten Fresken stellen von Westen nach Osten die über Heidentum und Irrlehre triumphierende Kirche, die Regalienübergabe an den Kreuzherrnorden, die Dreifaltigkeit, die Ausgießung des Heiligen Geistes, die Verkündigung Mariens sowie die Taufe Christi dar. Nach der Mediatisierung der Reichsstadt und der Säkularisation des Klosters durch das Kurfürstentum Bayern im Jahr 1802 erfuhr das Gebäude eine Nutzung als Verwaltungs- und Lagerraum des Hall- und Zollamtes. Der profanisierte Kirchenraum verlor sein Inventar, wurde durch Um- und Einbauten in seinem Gesamteindruck erheblich verändert und mit einer klassizistischen Nordfassade versehen. Im Jahr 1998 begann eine aufwändige Restaurierung von Kirchenschiff, Dürftigenstube und dem angrenzenden Konventsgebäude mit frühbarockem Kassettendeckensaal. Dank der finanziellen Unterstützung des Zweckverbandes Sparkasse Schwaben-Bodensee, der Memminger Wohnungsbau eG, staatlicher Hilfen und durch den von Bürgerschaft und Wirtschaft getragenen „Förderverein Kreuzherrnspital“ konnte die ursprüngliche Raumwirkung wieder hergestellt werden. Im Jahr 2003 wurde der Komplex der Öffentlichkeit und der städtischen Sing- und Musikschule übergeben. Kassettendeckensaal Kreuzherrnsaal mit Konzertbestuhlung Kreuzherrnsaal – Decke mit Sichelbein-Malerei © Christine Motz Kreuzherrnkirche mit Kirchenturm am Hallhof © Foto Thanner

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