Seite 11 - cuxhaven_chronik_leseprobe

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Die Bauern ziehen auf Misthaufen
A
ls amEnde der letztenWeichsel-
Eiszeit vor rund 11 000 Jahren die
mächtigen Gletscher Skandinaviens
allmählich schmelzen und riesige
MengenMeerwasser in das gewal-
tige Becken zwischen England und
der Deutschen Bucht uten, sind die
Menschen längst da. Als genügsame
Jäger und Sammler ziehen sie durch
das Norddeutsche Tie and. An einigen
Stellen auch im heutigen Landkreis
Cuxhaven lassen sie ihre scharfen
Faustkeile und Flintbeile zurück. Ihr
Lebensraum ist eine struppige, zugige
Tundra, die nördlich der Dogger-
bank bis hinüber nach Großbri-
tannien reicht. Vor demWasser
müssen die ersten Norddeut-
schen bis zu 600 Kilometer
nach Süden ins Gebiet der
heutigen Elbmündung
zurückweichen. Auf dem
Geestsporn
Hohe Lieth
,
der sich von Bremerhaven
bis nach Duhnen zieht,
errichten schon vor mehr
als 5000 Jahren jungstein-
zeitliche Bauern markante
Großsteingräber wie das
Bülzenbett
bei Sievern. Auch auf Cuxhavener
Stadtgebiet entstehen zahlreiche Grä-
ber. Diese werden jedoch im 18. und
19. Jahrhundert abgetragen. Die Find-
linge landen in der Hafenbefestigung.
Rund drei Jahrhunderte bevor im fer-
nen Judäa ein gewisser Jesus von Naza-
reth in einer Futterkrippe liegt, steigt
mit Beginn der
vorrömischen Eisenzeit der Siedlungs-
druck enorm an. Nun wagen sich auch
erste Kolonisten aus demGermanen-
stamm der Chauken mit besseren
Metallwerkzeugen undWa en sowie
ihren Schafen, Ziegen und Kühen
hinab in die fruchtbare Marsch. Fibeln
und andere Gebrauchsgegenstände aus
Gräbern in Vossberg und Sahlenburg
belegen heute ihre Anwesenheit. Auf
den von den Flüssen aufgeschwemm-
ten Uferwällen und den Strandwällen
amMeer zieht man mit dem
Vieh zusammen in längliche
kombinierteWohn-Stall-
Häuser und macht in
Einbäumen bald
die zahllosen
Ströme und
Priele unsicher.
Eine mehr als
5000-jährige
Hassliebe zwi-
schenMensch
undMeer
beginnt.
Bekanntestes
Beispiel einer
solchen Siedlung
ist Feddersen-Wierde
in der Nähe derWeser-
Mündung. Im 1. Jh. v. Chr.
entsteht das Dorf als eine Reihe
vonHöfen auf einemnatürlichen
Brandungswall. Der Meeresspiegel
liegt zu dieser Zeit rund einen halben
Meter unter demheutigen Pegel. Bald
aber steigt er merklich an – verbunden
mit schwereren Sturm uten. Dieser
Bedrohung und dem täglichenWechsel
von Ebbe und Flut müssen dieMen-
schen begegnen. Ab dem 1. Jahrhundert
n. Chr. häufen sie aus Mist, Klei und
Sand künstliche Hügel auf und ziehen
sich darauf zurück. Später vergrößern
sie dieseWurten zu einer einzigen gro-
ßenDorfwurt, die imFall der Feddersen-
Wierde eine Fläche von vier Hektar
erreicht. Ein halbes Jahrtausend bleibt
sie bewohnt. Das Niedersächsische
Institut für historische Küstenforschung
hat sie intensiv erforscht.
Um die Zeitenwende kommen auch
die Römer unter den Feldherren
Drusus und dann Tiberius in den
Norden und bringen die Küstenvölker
unter ihre Gewalt, berichtet Velleius
Paterculus. ImAufstand der Friesen,
die westlich der Chauken siedeln,
geht ihre Herrscha schon 28 n. Chr.
wieder unter. 13 Jahre später kommen
Römer ein letztes Mal an die Nordsee,
um den letzten Legionsadler von den
Chauken zurück zu holen. 77 n. Chr.
lästert der römische Gelehrte Plinius
der Ältere in seiner
Naturgeschichte
s
Ob die kostbare Silberschale aus
römischer Produktion, gefertigt um
380 n. Chr., die in der Neuzeit in Alten-
walde zutage kommt, ein Tauschobjekt
oder Diebesbeute ist, bleibt im Dunkeln.
Foto: Bernd Schlüsselburg
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Die Marsch wird besiedelt
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