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Raum für Wirtschaft
Die gefährliche Phase für das Lawinenopfer ist das
Auslaufen der Schneemassen, wenn die Lawine schicht-
weise zum Stillstand kommt. Die unteren Schichten
verdichten sich zuerst. Alles was davon erfasst wird, kann
nicht mehr mitfließen, wird meist schlagartig eingepresst.
Nachfließende Schneemassen führen dann zu einer tota-
len Verschüttung. Tonnenschwer lastet die leichte weiße
Pracht auf dem Körper, die Kristalle dringen über Mund
und Nase in die Lungen. Sich selbst befreien ist praktisch
unmöglich. Und wenn niemand in der Nähe ist, der
einen ausgräbt, hilft auch der Lawinenpiepser nicht viel.
Peter Aschauer beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit
allen Details von Lawinen. 1978 wäre er beinahe selbst begraben
worden – beim Heliskiing in Kanada hatte eine andere Gruppe
am Hang oberhalb ein Schneebrett ausgelöst. Ein kleiner Felsen
schließlich teilt die Lawine genau dort, wo Aschauers Gruppe
steht. Dabei existierte die – imwahrsten Sinn des Wortes –
rettende Idee bereits: „Ein Forstmeister und Jäger in den Alpen
hatte schon zu Beginn der 1970-er Jahre bemerkt, dass er nicht
so leicht in ausgelösten Schneebrettern versank, wenn er sich
ein totes Reh um die Schultern gelegt hatte“, erzählt Aschauer.
Diese Erkenntnisse landeten schließlich beim Fraunhofer-Insti-
tut, das einen Vermarkter suchte – und ihn in Peter Aschauer
fand, der bereits eine Karriere imMarketing hinter sich hatte.
Der Münchner gründete die Firma ABS – Avalanche Ballon
System. „Der Anklang an das Autosicherheitssystem ABS ist
gewollt“, sagt er. Was dann folgte, waren harte Jahre der For-
schung und Perfektionierung. Der erste Auftritt auf der ISPO
1985 brachte noch keinen durchschlagenden Erfolg. „Die Zeit
war noch nicht reif“, gibt Aschauer zu. Und auch das damalige
Systemmit großemTragegestell und nur einem Ballon im Kopf-
bereich war noch nicht optimal.
Den Durchbruch brachte der Twin-Airbag, der in Rucksäcken
unterschiedlicher Größe angeboten wird: Dank raffinierter
Luftführung genügt eine kleine Patrone, um die Airbags inner-
halb von zwei Sekunden zu öffnen. Die beiden Bags links und
rechts am Körper lassen Menschen in einer Lawine wie mit
Tragflächen an der Oberfläche mitschwimmen. Die Folgen sind
dramatisch: „Von 262 Personen mit ausgelöstem ABS-Lawinen-
airbag haben 97 Prozent überlebt, 84 Prozent davon sogar
unverletzt“, erklärt Peter Aschauer. Nach dem Einsatz müssen
nur die Airbags wieder in den Rucksack gefaltet und eine neue
Druckluftpatrone eingesetzt werden.
Die Firma ABS sitzt zwar in Gräfelfing, produziert und vertrieben
wird aber im Landkreis Dingolfing-Landau. Mit den Nieder-
bayern haben Aschauer und seine Leute gute Erfahrungen
gemacht: Zunächst in Malgersdorf (Landkreis Rottal-Inn), nun in
Gottfrieding. „Die Leute hier haben die richtige Einstellung. Wir
stellen ein Sicherheitsprodukt her, da sind Zuverlässigkeit und
Genauigkeit oberste Gebote.“ Außerdem seien viele Frauen und
Männer durch BMW oder andere große Betriebe im Landkreis
bestens ausgebildet – „davon profitieren wir“, sagt Aschauer.
Und auch sonst lobt er Dingolfing-Landau als Wirtschafts-
standort ausdrücklich: Die Nähe zur Autobahn und das aktive
Werben der Wirtschaftsförderung am Landratsamt.
Momentan sind es bis zu zwölf Mitarbeiter, die in Gottfrieding an
die 16.000 Einheiten produzieren. Die jährliche Steigerungsrate
beträgt 15 bis 20 Prozent, ABS hat einenWeltmarktanteil von 60
Prozent. Das soll mehr werden. Ziel: 70 bis 80 Prozent. „An die
150.000 Lawinenpiepser werden pro Jahr verkauft. Jeder davon
ist ein potenzieller Kunde“, gibt er vor. Peter Aschauer überlegt
deshalb, ob er die Halle in Gottfrieding, in der ABS momentan
Mieter ist, nicht kaufen soll. Nur eines werde sich nicht ändern,
sagt er mit verschmitztem Lächeln: „Firmensitz bleibt Gräfelfing.
Dort sind einfach die Gewerbesteuern günstiger.“
Der Lebensretter aus dem Rucksack
Wie in einer Waschmaschine. Einer tosenden,
tödlichenWaschmaschine. So beschreiben Überle-
bende das, was in einer Lawine geschieht. Doch es
ist nicht die schiereWucht allein, die Menschen mit-
reißt, sie im schlimmsten Fall gegen Bäume und Fel-
sen schmettert. Oder das ständige Auf und Ab, weil
der Schnee den Körper nach oben drückt, bevor er
durch sein Gewicht wieder nach unten sinkt.
Firmengründer
Peter Aschauer hat
lange getüftelt,
bis seine Airbags
platzsparend in
Rücksäcken verstaut
waren.