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Von den Römern in die Neuzeit
16 vor Chr. „trat Neuss deut-
lich und nachhaltig in das Licht
der Geschichte“, schrieb der
seinerzeit in Neuss sehr bekannte
Historiker und ehemalige Leiter des
Stadtarchivs, Joseph Lange. Es waren römi-
sche Legionen des ersten römischen Kaisers
Augustus (63 vor Chr. bis 14 nach Chr.), die
das Land am Niederrhein besetzten und
eine Legionsfestung im späteren Neuss un-
terhielten. Viele Jahrhunderte später wurde
dieses Lager von dem Neusser Archäologen
und Altertumsforscher Constantin Koenen
in den Jahren 1888 bis 1900 fast vollstän-
dig freigelegt. Er widerlegte damit auch die
weit verbreitete Ansicht, dass das Lager
sich innerhalb des späteren Stadtgebiets be-
funden habe. Die nach seinem Entdecker
auch als „Koenen-Lager“ bezeichnete und
rund 24,7 Hektar große Befestigung, die in
60 Einzelparzellen aufgeteilt war, kann heute
als virtuelle Rekonstruktion im Clemens-Sels-
Museum erlebt werden.
Bis heute sprechen die Menschen mit Be-
wunderung und Respekt von dieser Be-
festigungsanlage. Wahrscheinlich liegt das
daran, dass das Lager Novaesium bis heute
„als Symbol des römischen Volkscharakters
und des römischen Staats“ wahrgenommen
wird, „der imstande war, die gesamte damals
bekannte Welt in eine einzige politische Or-
ganisation zu bringen und annähernd ein
hin, wo alles begann. Die neuere Geschichts-
schreibung geht davon aus, dass schon lange
vor 16 v. Chr. römische Pioniergruppen das
Gelände erkundeten. „Sie kartierten es grob,
erschlossen es durch ein Netz von kleinen
Versorgungslagern, Wegenetzen, Fernmelde-
stationen und Wachtürmen und übernahmen
dabei wohlmöglich eine ältere Infrastruktur“
(Karl Remmen). Die Region war seinerzeit
in Aufruhr, denn das Heer der westgerma-
nischen Sugambrer hatte dem römischen
Feldherrn Lollius im Jahre 16 vor Christus
eine vernichtende Niederlage beschert. Dar-
aufhin wurde das gesamte Rheingebiet durch
50 Kastelle gesichert. Die Soldaten hatten die
Aufgabe, die Rheingrenze zu überwachen
und das Hinterland zu schützen.
Entlang des Rheins, der in der über 2000-jäh-
rigen Geschichte der Stadt Neuss immer
eine große Rolle gespielt hat, bauten die
Römer eine gewaltige Lagerbefestigung mit
Gräben, Palisaden, Türmen und Wällen.
Der „Limes“ wurde, nachdem sich die Rö-
mer nach verlustreichen Kleinkriegen von
ihren rechtsrheinischen Stellungen auf das
linke Rheinufer zurückgezogen hatten, zum
Grenzwall. Eines dieser Kastelle war das Le-
gionslager Novaesium, das sich südöstlich
des heutigen Stadtgebiets von Neuss be-
fand. Unter Historikern besteht weitgehend
Einigkeit darüber, dass die frühe Geschich-
te der Stadt Neuss hier begann. Im Jahre
u
Die Menschen in Neuss waren schon im-
mer ein wenig stolz auf ihre Vergangenheit.
In typisch niederrheinischer Bescheidenheit
weisen sie im Gespräch beiläufig darauf hin,
dass sie in einer der ältesten Städte Deutsch-
lands leben. Und mit Begeisterung erinnern
sie sich an das Jahr 1984, in dem die Stadt
ganz im Zeichen ihrer 2000-Jahr-Feier stand.
Der damalige Bundespräsident Karl Carstens
und seine Frau Veronica waren von Bonn
nach Neuss gereist und die Deutsche Bun-
despost hatte extra eine Sondermarke mit
einem Detail aus einer in Neuss gefundenen
Grabstelle des Oclatius aus dem 1. Jahrhun-
dert herausgegeben.
Der Grabstein des Feldzeichenträgers Ocla-
tius wurde in den zwanziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts im Bereich des
heutigen Stadtteils Gnadental gefunden und
befindet sich heute in der besuchenswerten
archäologischen Sammlung des Clemens-
Sels-Museums. Im Schatten des Obertors
erinnern Ausrüstungsgegenstände, Glasge-
fäße, Inschriften auf Ziegeln, medizinische
Instrumente, Münzen und Waffen an den
Alltag der römischen Garnison in Neuss.
Sie wurden im Laufe der vergangenen
150 Jahre im Bereich der ehemaligen römi-
schen Gräberfelder, Militärlager und Siedlun-
gen gefunden. Reisen wir deshalb – frei nach
Rudolf Pörtners gleichnamigem Sachbuch –
„mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“. Dort-
halbes Jahrtausend darin
zu behalten: das Imperium
Romanum“ (Peter Stenmans).
Im Jahr 400 nach Chr. zogen die
entlang der Rheinschiene stationierten Legi-
onäre Richtung Italien ab. Die Franken waren
von Osten kommend über den Rhein gelangt
und bereiteten plündernd und zerstörend
der römischen Herrschaft am niederrheini-
schen Limes das Ende. Obwohl in der Zeit
des Überganges und der Neuregelung reges
Leben am Niederrhein herrschte, geriet das
antike und Grenzen überschreitende Handel
betreibende Novaesium zunächst an den
Rand der Bedeutungslosigkeit: „Neuss fiel
für die folgenden Jahrhunderte zurück in den
Dämmerschlaf der Vorgeschichte, aus dem
die Weltmacht Rom es für fast ein halbes
Jahrtausend erweckt hatte“ (Stenmans).
Nachdem der Vorhang der Geschichte sich
zunächst über Neuss, das damalige Nivisium,
gelegt hatte, taucht die Stadt anschließend
wieder auf. Wir schreiben das Jahr 804, als
Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des
Großen und dessen späterer Nachfolger, mit
seinem Heer bei Neuss über den Rhein setzt.
Die nachfolgenden Jahrzehnte sind eng mit
den Normannen verbunden. Die aus Skan-
dinavien stammenden Wikinger tauchten
bereits 839/40 am Rhein auf und bedrohten
jahrzehntelang die Region. Im Jahr 881, dem
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