Seite 6 - M_Chronik_Leseprobe

Basic HTML-Version

5
Grußwort
Susanne Breit-Keßler, Regionalbischöfin für München
und Oberbayern, Evangelisch-Lutherische Kirche in
Bayern
Susanne Breit-Keßler
A
n München liebe ich die libera-
litas bavarica – die gesellschaft-
liche, vor allem aber die geistliche.
Natürlich freue ich mich, dass wir
Evangelische aus München nicht
wegzudenken sind. Zu unserer tiefen
Freude haben auch unsere Freunde
jüdischen Glaubens mit ihrer wun-
derschönen Synagoge im Herzen von
München Heimat gefunden. Die Mus-
lime brauchen noch einen geeigneten
Ort für ihr islamisches Zentrum, das
Bildung und Dialog dienen soll, damit
wir miteinander in unserer schönen
Stadt dem internationalen Terror
wehren.
München ist eine multireligiöse
Stadt. Gemeinsam pochen wir auf
das Menschenrecht der Religionsfrei-
heit – das Recht zur Ausübung der
Religion – in der Öffentlichkeit, vor
den Augen der Gesellschaft. In Zeiten
der Flüchtlingsströme ist es wichtig,
auch Menschen anderer Kulturen und
Religionen willkommen zu heißen,
Hindus, Buddhisten oder ­Anhänger
der Sikh-Religion und Bahai.
Das Christentum war immer in der
Stadt beheimatet. Die Sorge um die
Stadt, das grundlegende Interesse an
ihr, ist in Texten der Bibel greifbar.
„Suchet der Stadt Bestes“ (Jesaja 29)
ist die Mahnung zu sozialem Engage-
ment. Was auf den ersten Seiten der
Bibel in einem Garten beginnt, im Pa-
radiesgarten, endet auf den letzten
Seiten in der Vision einer gebauten
Stadt als Ideal des sozialen Miteinan-
ders. In Städten fanden sich die ersten
Christen, die bereit waren, dem Evan-
gelium zu folgen. Die Stadt als Ort des
Zusammenlebens verschiedenster
Menschen auf engem Raum ist immer
auch Spannungsgebiet. „Kirche Jesu
Christi“, die ihren Namen verdient,
gibt es nur dort, wo diese Spannun-
gen ausgehalten und gelebt werden.
Wir dürfen uns auch nicht nahtlos in
die säkulare Stadt einfügen oder den
Weg der inneren Emigration wählen,
um die eigene Reinheit zu bewahren.
Denn die eigenen vier Wände sind im-
mer zugleich die Wände der Nachbar-
häuser und -wohnungen. Das Wohl der
Stadt ist für uns nicht weniger wichtig
als für die anderen Stadtbürger. Nicht
Distanz, Rückzug in eine reine Sonder-
kultur, sondern mutiges, der Realität
des Lebens in die Augen schauen-
des Engagement für das Gemein-
wesen ist biblischer Grundimpuls.
Natürlich sind die evangelischen Kir-
chen – etwa die wunderbar erneuerte
Markuskirche, die faszinierende Lu-
kaskirche und die Erlöserkirche mit
ihrem filigranen Jugendstil – Anzie-
hungspunkte. Wir achten allerdings
darauf, dass sie nicht zum Muse-
um werden. Wer heute in eine unse-
rer Kirchen kommt, der merkt, dass
sie mit Leben gefüllt sind und die Bot-
schaft Jesu Christi hochaktuell ist.
Das evangelische München trägt
zur konstruktiven Lebensgestaltung
in einer Stadt voller Ambivalenzen
bei. Kirche und ihre Mitarbeitenden
helfen, vielfältige Erfahrungen der
Großstadt zu verarbeiten. Dafür ste-
hen die Beratungsstellen von Kirche
und Diakonie, die Stunden der Seel-
sorgenden. Es gibt vielfältige Mög-
lichkeiten, das Leben zu würdigen:
in Gottesdiensten, Ausstellungen,
Konzerten, Oratorien, Passionen …
Zur Würdigung des Lebens gehört, es
in schweren Phasen zu begleiten –
etwa in Obdachlosenarbeit, in der
Zuwendung zu misshandelten Frauen
und Kindern, in der liebevollen Auf-
merksamkeit für Kriegsflüchtlinge.
Damit und mit der Art, wie wir Kri-
sen und gute Zeiten bewältigen, wer-
den wir zum Segen für die Stadt.