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ler und Kaufleute fortan auch unter dem
mittelalterlichen Schutzschirm des Bundes
standen. Frachtschiffe legten mittlerweile in
Neuss an und das Warenangebot vergrö-
ßerte sich. Getreide, Salz und Wein wurde
gehandelt und die ersten Mehl- und Ölmüh-
len, die bis heute ein unverzichtbarer Teil des
industriellen Portfolios im Hafengebiet sind,
nahmen ihre Arbeit auf.
Wir schreiben das Jahr 1474, als Karl der
Kühne mit seinem Heer vor den Toren der
Stadt steht. Jedes Kind in Neuss kennt diese
Geschichte und es schwingt durchaus Stolz
in der Stimme, wenn Besuchern erzählt wird,
dass es die Neusser dem kriegslüsternen Her-
zog von Burgund „so richtig gezeigt haben“.
Trotz eines riesigen und bestausgerüsteten
Heers von kriegserprobten Soldaten hatte
der Angreifer keine Chance, die Stadt zu
erobern. Von Ende Juli 1474 bis Ende Juni
1475 gelang es Karl dem Kühnen nicht, den
Widerstand der sich kämpferisch gebenden
Bevölkerung zu brechen.
Wer die bis heute besondere Verehrung des
Stadtpatrons begreifen möchte, muss verste-
hen, dass der heilige Quirinus den Menschen
in Neuss über Jahrhunderte Kraft gegeben
hat. Und so trugen auch damals die von Not
geplagten Bürger in einer Prozession den
Quirinusschrein durch die Stadt und beteten
um Hilfe. Ihre Gebete wurden erhört. „An
den Stadtmauern von Neuss biss sich Karl
ein Jahr lang die Zähne aus“, schreibt Karl
Remmen.
Der Historiker Joseph Lange resümierte an-
gesichts dieser für damalige Verhältnisse dra-
matischen Niederlage: „Mit Karl von Burgund
scheiterte vor den Mauern von Neuss ein
absolutistischer Fürst am Selbstbehauptungs-
und Freiheitswillen deutscher Bürger.“
Mit gewachsenem Selbstbewusstsein stellte
sich die hungernde Neusser Bevölkerung
den dramatischen Folgen der fast einjährigen
Kampfhandlungen. Hunderte von Einwoh-
nern und Söldnern waren getötet, zahlreiche
Häuser, Türme und Tore zerstört worden.
Die Folgekosten der Belagerung und des
anschließenden Wiederaufbaus belasteten
noch nachfolgende Generationen.
An der objektiven Feststellung, dass Elend
und Zerstörung anschließend immer wieder
neue Kräfte freisetzen, kommt man auch
hier nicht vorbei. Neuss wird für seine Hel-
dentaten, die sich damals auch ohne Medi-
en rasend schnell verbreiteten, von Kaiser
Friedrich III. mit einer Reihe von Freiheiten
und Privilegien belohnt. Bis heute ist von
Bedeutung, dass die Stadt „Ehre, Würde,
Vorteil, Recht und Gerechtigkeit“ der Hanse
verliehen wurde.
Der Hansebund war damals ein politisch
und wirtschaftlich bedeutsamer Verbund,
dem zahlreiche große und kleine Städte
angehörten. Vom 13. bis in die Mitte des
15. Jahrhunderts beherrschte die Hanse
weitgehend den Fernhandel des nördlichen
Europas – eines Gebietes, das heute sieben
europäische Staaten umfasst. An die Blüte-
zeit der Hanse erinnert heute ein Bündnis
europäischer Kommunen. Der Städtebund
„Die Hanse“ wurde 1980 im niederländi-
schen Zwolle gegründet und veranstaltet
alljährlich einen „Hansetag“. Im Rahmen
großer Volksfeste, an denen nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs 1989 auch osteuropä-
ische Hansestädte teilnehmen, wird der Ge-
danke der Hanse lebendig gehalten und mit
neuem Leben gefüllt. Im Jahr 1984 fand der
4. Hansetag der Neuzeit in Neuss statt. Die
nächste Zusammenkunft der Hansestädte in
Neuss ist für das Jahr 2022 geplant. Derweil
fließt allerdings – so ein altes Sprichwort –
noch viel Wasser den Rhein hinab. Für die
weiteren Geschicke der Stadt Neuss ist es
von besonderer Bedeutung, dass im August
1480 Hermann von Hessen zum Erzbischof
von Köln gewählt wurde. Der „Friedsame“
bescherte der Quirinusstadt während seiner
28-jährigen Regierungszeit Ruhe und Stabi-
lität. Die Vereinigung der Heimatfreunde
Neuss e. V. hat ihre höchste Auszeichnung
nach Hermann von Hessen benannt. Mit ihr
werden seit 1990 Menschen oder Vereinigun-
gen geehrt, „die sich durch uneigennützige,
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