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Ein barockes Fest
und moderneWunder
Am 900. Jahrestag der Reliquien-
überführung, 1736, erklärten Legen-
den Liborius bereits zum mythischen
Stadtgründer. Als Clemens August
von Bayern, Fürstbischof von Pader-
born, in der Provinzstadt aus die-
sem Anlass ein barockes Fest feierte,
stimmte der Jesuit und Domprediger
Gabriel Erich die Stadtbewohner und
angereisten Pilger auf das Ereignis
ein. Er predigte, erst mit der Über-
führung der Liboriusreliquien aus Le
Mans sei Paderborn eine förmliche
Stadt geworden. Damit war Liborius
zur religiösen und städtischen Identi-
fikationsfigur geworden, Paderborn
zur „Liboristadt“.
Neue Mythen rund um den Stadt-
patron entstanden, etwa die von
dem Pfau, der der Paderborner
Delegation 836 auf ihrem Rückweg
voraus ge-flogen sein soll. Als der
Paderborner Bischof die Reliquien
entgegennahm, so die Legende, fiel
der Vogel tot zu Boden. Als christ-
liches Symbol für Auferstehung
und ewiges Leben avancierte der
Pfau schnell zum Wahr-zeichen
des Liborifestes. Noch heute wird
dem Schrein bei der Prozession
zu Libori ein Pfauenwedel voran
getragen.
Zweiflern sei gesagt: Auch in der
Neuzeit blieben die Wunder rund um
Liborius nicht aus. Als Paderborn
1945 nach den Bombardierungen in
Schutt und Asche fiel und die Innen-
stadt ein einziges Trümmermeer war
(vgl. 1945), blieb nur eines unbeschä-
digt: die steinerne Figur des heiligen
Liborius auf dem Brunnen am Kamp.
Wie eine steinerne Mahnung blickte
der Heilige über die Ruinen zum Dom.
Heute begrüßt einige Schritte weiter
eine große Einkaufspassage ihre Gäste.
Auch sie hat ihren Namen – wie
sonst – vom heiligen Liborius.
Im Zeichen des Pfauenwedels: Der heilige
Liborius von Le Mans ist erster Patron der
Stadt und des Bistums und dritter Patron
des Doms.
Foto: Ansgar Hoffmann
Als der Schrein des heiligen Liborius während des Dreißigjährigen
Krieges eingeschmolzen wurde, um aus dem Edelmetall „Pfaffenfeind-
taler“ zu prägen, erregte das viel Aufsehen. Die „Westphaelische
Transformie“, ein Spottgedicht aus Holland, beschrieb Entstehung und
Weihe des Schreins (links und rechts oben), der Anbetung (links unten)
und Einschmelzung (rechts unten). In der Mitte der Pfaffenfeindtaler
mit der Prägung: „Gottes Freund, der Pfaffen Feindt."
Foto: Stadtarchiv Paderborn
Der Brückenbauer Europas
Nicht nur in Paderborn verbreitete sich im Mittelalter der Heiligenkult um Liborius. Die Bischofs-
stadt wurde allerdings zum Zentrum der Liboriusverehrung, die sich in Westfalen, aber auch im
bayrischen Kloster Tegernsee oder in Quedlinburg verbreitete. Die Niederlande, Niedersachsen,
Thüringen und der Niederrhein folgten ab dem 12. Jahrhundert.
Durch den frühmittelalterlichen Reliquientransfer entstand die älteste Städtefreundschaft der Welt
zwischen den beiden Städten Le Mans und Paderborn (vgl. 2003). Die Beziehung fand nach dem
Zweiten Weltkrieg im Zeichen der Völkerverständigung und europäischen Einigung zu neuer Blüte.
Nach Liborius, dem „Brückenbauer Europas“, ist eine Auszeichnung benannt, die seit 1977 bedeu-
tenden Persönlichkeiten für ihre Verdienste um die europäische Idee überreicht wird. Zu den Preis-
trägern der „St. Liborius-Medaille für Einheit und Frieden“ gehören der frühere Bundeskanzler Hel-
mut Kohl (1999), Claude Juncker, Premierminister des Großherzogtums Luxemburg (2007) und
weitere Ministerpräsidenten, Außenminister und Präsidenten des Europäischen Parlaments.